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Mentale Herausforderungen im Strafvollzug: "Am Anfang wollen alle raus"

Quelle: derstandard.at von KARIN BAUER 5. März 2017, 11:00

Zwei Frauen berichten von der Arbeit im Strafvollzug: Die eine ist Psychologin in Stein, die andere Sozialarbeiterin in Simmering - der Artikel zeigt wie wichtig die Erfüllung der menschlichen Bedürfnisse ist - egal ob innerhalb der Mauern oder außerhalb. Provokant stelle ich mal hier die Frage:

  • Sind wir als Teil der Gesellschaft nicht auch gefangen?

  • Welche Zwänge sind unsere Gefangenschaft?

  • Wodurch unterscheiden sich die Gedanken der Inhaftierten von den "frei" lebenden Personen? Wo gibt es Übereinstimmungen?

  • Sind Ängste ein guter Begleiter in die Zukunft

  • Was bedeutet eigentlich Erfolg?

Um welche SORGEN UND ÄNGST geht es? »Ganz am Anfang wollen alle raus. Das ändert sich aber mit der Zeit. Langes Eingesperrtsein erzeuge Hilflosigkeit – diese Hospitalisierung wieder aufzuheben, "das schaffen nicht alle." Mit den Jahren wachsen die Ängste und Sorgen über das mögliche, wahrscheinliche Misslingen eines neuen Lebens "draußen"....Der Wunsch: "Die Bereitschaft, über den Tellerrand zu schauen. Die Menschen hier haben Furchtbares getan. Aber das ist auch ein Teil von uns, ein Teil unserer Gesellschaft."« (der standard.at, Karin Bauer, 5.3.2017)

  • "In alte Muster zurückzufallen, den Herausforderungen nicht gewachsen zu sein. Ob das die Menschenansammlung in der U-Bahn oder das Geld in der Hand vor übervollen Supermarktregalen ist oder die Vorstellung, Vertreter des alten Lebens wieder zu treffen."

  • Scham oder Selbstmitleid oder schlicht das Gefühl, keine Chance zu haben.

Angst vor den Möglichkeiten

»"Angst vor draußen hat nur der, der sich selbst andere Möglichkeiten einräumt, als wieder einbrechen zu gehen", sagt Waidner. Genau an diesen Möglichkeiten arbeitet sie gemeinsam mit den Kollegen vom sozialen Dienst engmaschig. Dazu gehört auch die Entlassungsvorbereitung, Vollzugslockerung inklusive Einüben des Lebens mit Begleitung, Wohnungssuche, Aufbau eines förderlichen sozialen Netzwerks.

Bei Menschen, die lange im Maßnahmenvollzug inhaftiert waren, seien der soziale Dienst (von Lehrabschluss über begleitende Gespräche mit Angehörigen bis hin zu Arbeits- und Wohnungshilfe) und die psychologische Betreuung gut aufgestellt, sagt Waidner. Anders sei das bei plötzlich Haftentlassenen, etwa aus der U-Haft, ohne Vorbereitungszeiten.

Flucht beim Ausgang vor der Entlassung komme bekanntlich vor, sagt die Psychologin. Dahinter stehen nicht bewältigte Probleme inklusive geringer Konfliktkompetenz und geringer Frustrationstoleranz. Das Ergebnis sei oft der Rückfall. Zudem sei der Druck von Mitinhaftierten, Suchtmittel und -gifte von draußen "herein" zu bringen, hoch.« (der standard.at, Karin Bauer, 5.3.2017)

Angst vor den Erwartungen

»Der 52-jährige K. bereitet sich nach 22 Jahren Haft wegen eines Deliktes "an Leib und Leben" auf seine Freilassung vor. Er hat intensiv an seinem Alkoholproblem gearbeitet, Waidner beschreibt ihn als "reflektiert und klug". Er hat Angst vor den Erwartungen draußen, dass er die Regeln und Vorgaben nicht erfüllen kann, dass er Angehörige noch einmal enttäuschen könnte, stresst ihn. Er sehnt den Tag seiner Entlassung derzeit nicht herbei.

J., 34, ist im gelockerten Vollzug nach fünf Jahren wegen Körperverletzung und wird gerade auf das Leben in einer Nachbetreuungseinrichtung vorbereitet. Anfangs, sagt Waidner, seien J.s Ängste wegen eingeschränkter Reflexionsfähigkeit gering gewesen. Doch je mehr er sich mit dem Alltag draußen konfrontiert, desto größer werden seine Ängste vor den geforderten lebenspraktischen Fähigkeiten. "Er benötigt eine lange Trainings- und Unterstützungsphase."« (der standard.at, Karin Bauer, 5.3.2017)

Wunschberuf im Gefängnis

»"Wir haben ein positives Image bei den Insassen." Hannelore Haindl ist Sozialarbeiterin in der Justizanstalt Wien-Simmering. Ihr Zimmer ist ähnlich dem von Waidner, auch sie mag keine Fotos. In Simmering arbeitet sie mit "leichteren Fällen", Menschen, die Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren absitzen.

Auch Sozialarbeiterin Haindl wollte immer "mit straffälligen Menschen arbeiten". Wieso? Das könne sie nicht sagen, das sei halt so. "Wir haben einen Auftrag." Ihre Klienten hätten oftmals weder die Chance noch die Freiheit gehabt zu entscheiden, wie ihr Leben hätte laufen sollen. Ihren Arbeitsauftrag sehe sie als "Wiedereinstieg für Ausgespuckte". Klienten riefen auch nach ihrer Entlassung noch oft an und erzählten, wie es ihnen "draußen" ergehe.

Haindl erklärt, wie sie arbeitet: Zunächst gehe es darum, Alternativen zu Fäusten und Drogen zu finden. Dann gehe es oftmals um die praktische Seite des Lebens, etwa Kontakte zu Schuldnerberatern oder externen Therapieeinrichtungen herzustellen. Die Sozialarbeiterin verhilft auch zu Übungsjobs... ...damit ihre Klienten die Angst vor dem "richtigen" Arbeitsleben in den Griff kriegen.« (der standard.at, Karin Bauer, 5.3.2017)

Mehr Unterstützung

«Sie erzählt, wie oft die "Wirklichkeit" zuschlage während des Freigangs vor Haftentlassung. Ehefrauen lassen sich scheiden, Kinder wollen nichts mehr von ihren Vätern wissen. Manche brauchten viel Begleitung, andere weniger.

"Ich bin hartnäckig", sagt Haindl, die auch Fachvertreterin ihrer Branche ist und sich vor allem mehr Unterstützung, beispielsweise durch Spenden von Firmen, wünscht – etwa für Ausflüge zu Trainingszwecken. Ein schwieriges Anliegen, das weiß sie. Es mache sich nicht so gut, auf dem Firmenprospekt mit der Resozialisierung von Haftentlassenen zu werben. Dennoch: "Wir sehen in den Leuten innerhalb der Gefängnismauern Menschen mit Ressourcen. Stigmatisiert sind sie eh. Das wissen sie auch."

Keine der beiden Frauen klagt. Aber Waidner hat einen Wunsch: "Die Bereitschaft, über den Tellerrand zu schauen. Die Menschen hier haben Furchtbares getan. Aber das ist auch ein Teil von uns, ein Teil unserer Gesellschaft." « (der standard.at, Karin Bauer, 5.3.2017)

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